Diese mariavitischen Priester gründeten keine geschlossenen Kloster, sondern sie tätigten ihre pastorale Arbeit als Pfarrer oder an anderen Stellen. Daneben versuchten sie, andere Geistliche und Gläubige zu beeinflussen. Die Mariaviten verzichteten weitgehend auf Zigaretten und Alkohol. Von den Pfarrmitgliedern verlangten sie keine Gebühren für religiöse Dienste. Ihre nicht für die Seelsorge benötigte Zeit sollten die Priester der Sozial- und Bildungsarbeit widmen. Das polnische Volk war damals in dieser Hinsicht sehr vernachlässigt. In der Anfangsphase mußte die Bewegung wegen politischen Umständen in Polen geheim bleiben.
Die veränderte Lebensweise einer bestimmten Gruppe des römischkatholischen Klerus führte zunächst zu allerlei Vermutungen und dann zu einer starken Reaktion unter den übrigen Geistlichen. In kirchlichen Kreisen sah man diese Gruppe als eine reformatorische Bewegung an, die die Interessen des Klerus bedrohen könnte. Auch die polnischen Bischöfe teilten diese Ansicht. Deswegen wandten sich die mariavitischen Priester direkt an Rom. Sie unterbreiteten dem Papst die Bitte, die Offenbarungen der Mutter Kozłowska anzuerkennen. Zunächst war Pius X dieser Bitte gegenüber positiv gesinnt.
Die öffentliche Arbeit der polnischen Bischöfe veränderte aber diese ursprüngliche Einstellung ganz und gar. Der Papst verlangte die Abschaffung des bereits organisierten Ordenslebens. Mit dieser Entscheidung konnten sich aber die Mariaviten nicht abfinden. Nach zahlreichen Versuchen, einen Kompromiß zu finden, kündigten sie den Kirchenbehörden die Gehorsamkeit auf.
Ende 1906 entstand in Polen eine von Rom unabhängige katholische Kirche. Dies war die Folge des Kirchenbanns, mit dem Mutter Maria Franciszka Kozłowska und Pfarrer Michał Kowalski, der Vorsitzende der Priesterkongregation, belegt wurden.
Infolge eines Beschlußes der russischen Besatzungsmacht mußten die Mariaviten alles Kirchenvermägen aufgeben. Dies betraf sogar die Gemeinden, wo sich die Mehrheit des Volkes für die neue Bewegung ausgesprochen hat. Unter diesen Umständen waren die Mariaviten gezwungen, eigene Kirchengebäude einzurichten und ein neues Gemeindeleben von Grund auf zu organisieren. Im Laufe der nächsten Jahre erbauten die Pfarreien Kirchen und Kapellen, Volksschulen, Pfarrhäuser, Waisenhäuser sowie Werkstätten für Arbeitslose und Arme.
Schon im Jahre 1908 führte man die Muttersprache in die Liturgie ein. Für diese Reform entschieden sich die Mariaviten zirka 60 Jahre früher als die römisch-katholische Kirche. Darüber hinaus wurden damals die innerkirchlichen Verhältnisse demokratisiert.
Für jede katholische Kirche ist die sogenannte apostolische Sukzession von großer Relevanz. Dieser Fachbegriff bedeutet, daß die Kirche mindestens einen Bischof hat, dessen Weihe auf die Apostel zurückzuführen ist. Unter den mariavitischen Priestern gab es keine Bischöfe. Deswegen erlangten sie die apostolische Sukzession von der Utrechter Union. Die Union bestand aus den sogenannten altkatholischen Kirchen. Die Mehrheit von ihnen war nach dem ersten Vatikaner Konzil entstanden, als das Dogma über die päpstliche Unfehlbarkeit eingeführt worden war.
Der erste mariavitische Bischof, Pfarrer Michał Kowalski, wurde 1909 in Utrecht, in den Niederlanden konsekriert Im folgenden Jahr empfingen zwei weitere Bischöfe in Łowicz die Weihe. Gleichzeitig trat die polnische Kirche der Utrechter Union bei.
Kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde in Płock der mariavitische Dom geweiht. In demselben Gebäude befindet sich auch ein Kloster für Ordensbruder und Nonnen. Jedoch hemmte der Weltkrieg die bisher blitzartige Entwicklung der Bewegung.
Im Jahr 1921 trauerte die Kirche um den Tod ihrer Gründerin,Mutter Maria Franciszka Kozłowska. Zu diesem Zeitpunkt waren die Mariaviten wegen ihrer Sozial- und Bildungstätigkeit sowie ihrer Frömmigkeit in der polnischen Gesellschaft bekannt geworden. 1921 verfügte die Kirche über folgende Einrichtungen:
25 Grundschulen,
1 Vorgymnasium,
45 Kindergärten,
3 Analphabetenkurse,
14 Bibliotheken,
32 Handwerksbetriebe,
4 Waisenhäuser,
13 Altersheime,
4 Ambulatorien,
10 Freiküchen für Arme,
7 Bäckereien,
3 Sparkassen,
2 Feuerwehreinheiten,
48 Kinder-, Jugend- und Frauenhilfswerke.
Nach dem Jahr 1921 kam Erzbischof Michał Kowalski in der Kirche an die Macht. Er führte die Kirche auf eine diktatorische Weise. Darüber hinaus führte er eine Reihe von theologischen Innovationen ein. Zu den wichtigsten gehören: a) die Abschaffung des Zwangszölibats der Priester. b) die Zulassung der Frauen zum Priestertum. Die Ordensschwestern wurden sowohl zu Diakonissen als auch zu Priesterinnen und Bischöfinnen geweiht.
Die obenerwähnten Reforrnen übten einen negativen Einfluß auf das Leben der Kirche aus. Sie waren Grund für die vom römisch-katholischen Klerus organisierte Treibjagd gegen die Mariaviten. Schließlich wurde Erzbischof Kowalski seines Amtes enthoben. Die Mehrheit seiner Innovationen wurde abgeschafft. Im Endeffekt kam es zur Aufspaltung der Kirche in zwei unabhängige konfessionelle Lager. Die Anhänger des Erzbischofs Kowalski, die als Felicjanów-Mariaviten bekannt sind gründeten 1935 die sogenannte Katholische Kirche der Mariaviten mit dem Sitz in Felicjanów bei Płock. Sie blieben in der Minderheit.
Die Zerstörungen während des zweiten Weltkrieges verschonten auch die mariavitische Kirche nicht. Zahlreiche Geistliche und Gläubige wurden in Haft genommen. Der ehemalige Kirchenleiter, Erzbischof Kowalski, wurde im Konzentrationslager Dachau umgebracht. Die Zahl der Bekenner verringerte sich. Die Kirche verlor auch einen Teil ihres Vermögens. Zum Beispiel in Warschau wurde die beiden mariavitischen Kirchengebäude zerstört. Nach dem Krieg konnte nur das eine wiederaufgebaut werden. Die kommunistische Verwaltung verstaatlichte das Grundstück? wo sich das zweite befunden hatte. All dies schwächte den Geist der Gläubigen nicht.
II. Gegenwart
Die Kirche verfügt gegenwärtig über 38 Gemeinden und 29 Geistliche. Sie gliedert sich in 3 Diözesen und zöhlt beinahe 30.000 Mitglieder (25.000 in Polen und 5.000 in Frankreich).
Die Beziehung des Staates zur Altkatholischen Kirche der Mariaviten regelt heute ein Gesetz aus dem Jahr 1997, was von der guten juristischen Anerkennung der Kirche zeugt. Sie hat das Recht auf Religionsunterricht in Schulen und Pfarrhäusern. Durch das neue Gesetz wird auch die übertragung von Gottesdiensten und anderen Sendungen im Rundfunk und Fernsehen ermöglicht. Religiöse Dienste sind den Bekennern die in der polnischen Armee dienen, zugänglich.
Die wichtigsten Organe der Kirche sind die Synode, das Generalkapitel, der Kirchenrat und der Generalbischof. In jeder Pfarrgemeinde findet mindestens einmal jährlich eine Pfarrversammlung statt. Sie wählt alle 7 Jahre den Gemeinderat. Der Vorsitz hat der Pfarrer.
III. Őkumene
Die Altkatholische Kirche der Mariaviten war Grundungsmitglied des Polnischen Őkumenischen Rates die die größten christlichen Minderheitskirchen in Polen umfaßt. Daneben gehört sie dem Őkumenischen Rat der Kirchen und der Konferenz Europäischen Kirchen an. Sie trägt zum Einigungswerk des Christentums bei, indem sie ökumenische Gottesdienste veranstaltet. Außerdem beschäftigen sich die mariavitischen Geistlichen mit der ökumeniśchen Űbersetzung der Bibel.
IV. Grundsätze des Glaubens der Kirche Altkatholischen der Mariaviten:
1. Die Kirche stützt sich auf den ursprünglichen katholischen Glaubens- und Moral- Grundsätzen, wie sie in den Büchern des Alten und Neuen Testaments, sowie in der Tradition der Allgemeinen, ungeteilten Kirche enthalten sind. Außerdem beruft sie sich auf die ersten sieben ökumenischen Konzilien. Diese Konzilien fanden vor der Trennung des Christentums im Jahre 1054 statt.
2. Die Kirche stützt sich auch auf der Offenbarung über die Göttliche Barmherzigkeit, die von der Grunderin des Mariavitismus, die heilige Maria Franciszka Kozłowska, empfangen wurde.
3. Das Hauptziel der Kirche ist es, den Ruhm Jesu Christi, der im Heiligen Sakrament verborgen ist, zu verbreiten. Außerdem empfiehlt sie den Gläubigen, die unaufhörliche Hilfe der Mutter Gottes anzurufen.
4. Die Verehrung des Heiligen Sakraments im Leben der Bekenner zeigt sich darin, daß sie die Heilige Kommunion würdig und oft (sogar täglich) empfangen.
5. Die Kirche erkennt sieben heilige Sakramente an.
6. Die Heilige Kommunion wird den Laien unter zwei Gestalten erteilt.
7. Die heilige Messe und die gesamte Liturgie werden seit 1908 in Volkssprachen abgekalten. Die Art der Messe ist der römisch-katolischen Tradition vor dem zweiten Vatikaner Konzil ähnlich, was bedeutet, daß der Priester im Laufe des Gottesdienstes mit den Gläubigen zum Tabernaculum gewendet ist.
8. Zur Beichte vor dem Priester sind Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr verpflichtet. Die Erwachsenen können auf diese Art auf eigenen Wunsch beichten. Pflicht ist jedoch die allgemeine Beichte vor Christus mit der Absolution des Priesters.
9. Die Mariaviten erkennen keine Vorrangstellung des Bischofs in der Allgerneinen Kirche an. Sie lehnen auch die Unfehlbarkeit des Menschen in Sachen des Glaubens und der Moral ab. Deswegen gilt für sie der römisch-katholische Papst nur als primus inter pares, als erster unter Gleichen, der von Menschen ausgewählt wird.
10. Seit 1924 sind die Geistlichen nicht mehr zum Zölibat verpflichtet. Die Ehe gilt aber nicht als Verpflichtung. Es gibt sowohl verheiratete als auch ledige Priester.
11. Die religiösen Dienste sind kostenlos. Die Priester dürfen freiwillige Spenden entgegennehmen, sie jedoch nie fordern.
09-400 Płock, ul. Kazimierza Wielkiego 27,
tel/fax (+48 24) 262 30 86 (Polen)
e-mail: mariawita@mariawita.pl